Hochsensibilität im Familienalltag
- Lr Plt
- 3. Okt.
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Aktualisiert: 4. Okt.
Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität, auch Sensory Processing Sensitivity (SPS) genannt, bezeichnet ein Persönlichkeitsmerkmal, bei dem Kinder empfindlicher auf äußere Reize wie Geräusche, Licht, Gerüche, aber auch Stimmungen in ihrer Umgebung reagieren. Studien zeigen, dass etwa 20-35 % der Kinder zu hoher Umwelt-Sensitivität gehören (Pluess et al., 2017). Diese Kinder nehmen oft mehr Wahrnehmungsdetails auf und verarbeiten sie tiefer – das heißt, sie denken viel über Eindrücke nach und müssen diese verarbeiten, bevor sie „weitergehen“ (Li et al., 2021).

Wie zeigt sich Reizüberflutung?
Ein hochsensibles Kind kann bei hoher Reizintensität schnell überlastet sein. Typische Anzeichen sind:
Unruhe, Nervosität oder emotionale Ausbrüche z. B. nach lauten oder stark visuellen Reizen.
Erschöpfung oder erhöhte Reizempfindlichkeit nach sozialen Aktivitäten oder nach Tagen mit vielen Terminen.
Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Gerüchen, Kleidung, Licht etc.
Starke Reaktionen auch auf scheinbar kleine Dinge oder Änderungen in der Routine.
Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder, die in ihrer Kindheit stärker auf Umweltreize reagieren, fast immer auch stärker von ihrer familiären Umgebung beeinflusst werden – positiv und negativ. Ein unterstützendes, strukturiertes Umfeld kann Stresssymptome senken, während unausgeglichene Umgebungsbedingungen zu erhöhter Belastung führen (Cooke et al., 2022).
Warum ist die Reaktion des Umfeldes so wichtig?
Biologische Sensitivität: Kinder mit hoher Sensitivität reagieren nicht nur psychisch auf Reize, sondern oft auch körperlich – z. B. über die Regulation des Nervensystems (Stresshormone, Herzfrequenzvariabilität etc.) (Han et al., 2020)
Elterliche Sensibilität: Wie Eltern auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen – z. B. wie feinfühlig und wahrnehmend sie sind – beeinflusst maßgeblich, wie gut das Kind sich regulieren kann. Forschung zeigt, dass hohe „parental sensitivity“ (elterliche Feinfühligkeit) mit weniger inneren und äußeren Verhaltensproblemen bei Kindern verbunden ist (Cooke et al., 2022)
Strategien: Rückzugsmöglichkeiten & Entlastung im Alltag
Familien können bestimmte Wege finden, um hochsensible Kinder zu unterstützen und Reizüberflutung zu vermeiden. Hier ein paar wissenschaftlich gestützte Strategien:
Rituale, Vorhersehbarkeit und StrukturEin strukturierter Tagesablauf und regelmäßige Rituale geben Sicherheit und helfen, Streuung von Reizen zu reduzieren – sie schützen das Nervensystem vor Überraschungen.
Stille/ruhige RückzugsräumeOrte oder Zeiten, in denen das Kind sich zurückziehen kann (z. B. ruhiges Zimmer, Hörbuch, kuschelige Ecke), sind wichtig, damit es sich erholen kann.
Bewusst Pausen einplanenBesonders nach Aktivitäten mit vielen Reizen (z. B. Besuch, neue Umgebung, schwierige soziale Situationen) braucht das Kind oft bewusste Erholungszeiten.
Sensorische AnpassungenKleine Änderung der Umgebung kann schon helfen: z. B. reduziertes Licht, leise Musik oder ruhige Hintergrundgeräusche, angenehme Kleidung, klare Ordnung, gerade bei Spielzeug oder Kleidung.
Emotionale Anerkennung und Selbstregulation fördernMitgefühl und Verständnis, wenn das Kind überfordert ist. Gemeinsam Strategien entwickeln, wie das Kind sich selber beruhigen kann – etwa Atemübungen, Bewegung, Malen, kuscheln.
Forschungsergebnisse: Warum es sich lohnt
Kinder, die in einem angenehmen und stabilen Umfeld mit viel Unterstützung leben, entwickeln laut Studien bessere Fähigkeiten in der Emotionsregulation und zeigen weniger depressive und angstbezogene Symptome – besonders wenn sie hochsensibel sind (Lionetti, F., Klein, D.N., Pastore, M. et al., 2022)
Kinder mit hoher Sensitivität profitieren besonders, wenn die Umgebung liebevoll und unterstützend ist – sie „blühen auf“, wenn Bedingungen gut sind.
Fazit
Hochsensibilität ist kein Defizit – sie ist ein Persönlichkeitsmerkmal mit besonderen Herausforderungen, aber auch mit vielen Stärken. Im Familienalltag bedeutet das vor allem:
aufmerksam zu sein für die Zeichen von Überforderung
Rückzugsmöglichkeiten zu bieten
Belastung früh zu erkennen und gegenzusteuern
das Umfeld (Eltern, Schule, Alltag) so zu gestalten, dass das Kind sich sicher und angenommen fühlt
Wenn ihr als Familie diese Aspekte berücksichtigt, kann Hochsensibilität nicht nur leise Belastung sein, sondern auch eine Ressource – für tiefe Wahrnehmung, Empathie und Kreativität.
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Quellen:
Pluess M, Assary E, Lionetti F, Lester KJ, Krapohl E, Aron EN, Aron A. Environmental sensitivity in children: Development of the Highly Sensitive Child Scale and identification of sensitivity groups. Dev Psychol. 2018 Jan;54(1):51-70. doi: 10.1037/dev0000406. Epub 2017 Sep 21. PMID: 28933890.
Li Z, Sturge-Apple ML, Davies PT. Family context in association with the development of child sensory processing sensitivity. Dev Psychol. 2021 Dec;57(12):2165-2178. doi: 10.1037/dev0001256. PMID: 34928666; PMCID: PMC10029812.
Cooke JE, Deneault AA, Devereux C, Eirich R, Fearon RMP, Madigan S. Parental sensitivity and child behavioral problems: A meta-analytic review. Child Dev. 2022 Sep;93(5):1231-1248. doi: 10.1111/cdev.13764. Epub 2022 Mar 31. PMID: 35357693.
Han ZR, Zhang X, Davis M, Suveg C. The Role of Children's Neurophysiological Functioning in the Links Between Emotion-Parenting Behaviors and Child Anxiety Symptoms: A Biological Sensitivity to Context Framework. Fam Process. 2020 Jun;59(2):618-635. doi: 10.1111/famp.12438. Epub 2019 Mar 19. PMID: 30888689.
Lionetti, F., Klein, D.N., Pastore, M. et al. The role of environmental sensitivity in the development of rumination and depressive symptoms in childhood: a longitudinal study. Eur Child Adolesc Psychiatry 31, 1815–1825 (2022). https://doi.org/10.1007/s00787-021-01830-6




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